Kann das sein? Artenvielfalt in der Friedrichstraße in Tornesch? Wer mit Jürgen Feder unterwegs ist, entwickelt einen neuen Blick auf die Stadtnatur. Der Biologe kam auf Einladung der SPD Tornesch.
Die Tour beginnt an der Altentagestätte. Jürgen Feder rupft einige Grashalme aus, die zwischen den Fugen der Pflasterung gedeihen. „Einjährige Rispengras, Poa annua“, sagt er Biologe. „Bis zu fünfmal im Jahr kann es Samen bilden und schon unter einer Schneedecke blühen.“ Bei dieser Erklärung wird aus einem nervigen Unkraut, das viele der Anwesenden aus dem eigenen Garten kennen, ein bewunderter Überlebenskünstler.
Ein Moos, das keins ist
Das gilt auch für ein weiteres Pflänzchen, das Feder zwischen den Fugen der Steinplatten entdeckt. Er rupft es heraus, zeigt es herum. Fragende Gesichter. Vorsichtiger Vorschlag: „Ein Moos?“ Es ist eine Nelkenart, die den weiten Weg aus dem Hochgebirge auf unbekannten Wegen bis nach Tornesch zurückgelegt hat. Feder nennt den Namen: Niederliegendes Mastkraut, ein Nelkengewächs. Wer genau hinschaut, kann die zarten weißen Blüten erkennen, nicht größer als ein Fingernagel. Auch diese Pflanze ist eine echte Überlebenskünstlerin.
Auf dem Sprung in die Stadt
Jürgen Feder geht es bei seinen Führungen darum, die „Verbundenheit zu allen Facetten unserer absolut überlebenswichtigen Natur“ zu wecken. Die Stadtnatur gehört dazu, wie die 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem 2,5-stündigen Spaziergang durch Tornesch lernen. Viele Pflanzen, die in der intensiv genutzten Agrarlandschaft nicht überleben können, haben den Sprung in die Stadt geschafft. Oft sind sie an extreme Bedingungen angepasst wie große Trockenheit, Nährstoffarmut oder verdichtete Böden.
Vielfalt als Futter
Gerade leuchten am Fuß eines Laternenpfahls die gelben Blüten des Echten Leinkrauts. Es sieht ein bisschen aus wie das Gartenlöwenmaul, nur zarter und kleiner. Einst wuchs es an Wegrändern und Wiesenrainen. Feder entdeckt Vogelknöterich und Hirtentäschel, dessen nahrhafte Samen auf dem Speiseplan von Spatzen stehen. Merke: Das, was wir Unkraut nennen, was viele Menschen als störend und unordentlich empfinden, ist in Wirklichkeit natürliche Vielfalt.
Jürgen Feders Plädoyer
Während seiner botanischen Führung plädiert er für Empathie mit unserer Natur, für ein Öffnen der Sinne für das Kleine, das oft Übersehene, für die Achtung und den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Dazu gehören vor allem unsere „Unkräuter“. Oft sind gerade sie es, die die Grundlage für die Vielfalt unserer Natur ausmachen, denn sie stehen am Anfang der Nahrungskette.
Weiße Wucherblume
Nur mit einer Pflanze hatte der Biologe wenig Mitleid: der Zaunwinde. Von ihren hübschen weißen Blüten sollte sich niemand täuschen lassen. Die Pflanze ist übergriffig. Wo sie keinen Zaun hat, um an ihm empor zu klettern, nutzt sie Pflanzen, die sie unter sich begräbt. Jürgen Feders Rat: „Rausrupfen. Immer wieder.“
Informationen zu Jürgen Feders Pflanzenführungen und Fernsehauftritten: https://www.juergen-feder.de
SPD-Ratsfrau in Tornesch, Mitglied im Umwelt-, Bau- und Planungsausschuss, Journalistin und Buchautorin. 2019 erschien von ihr: Der Boden. Bedrohter Helfer gegen den Klimawandel. Sie betreibt den Naturgarten-Blog https://meinekleinewieseblog.wordpress.com